Der Sinn der menschlichen Existenz hört da auf, wo Europas Außengrenzen und deren Abschottungspolitik beginnt.
Der Tod unserer Kinder ist eine hingenommene Hinrichtung, verursacht durch die europäische Abschottungspolitik. Meine Enkelin starb einen sehr qualvollen Tod, obwohl sie hätte gerettet werden können. Mit ihren gerade mal 22 Jahren hat man ihr das Leben genommen.
Mich berührt oder schmerzt nicht nur der schreckliche Tod meiner Enkeltochter. Ich trauere um jedes einzelne Opfer, das so einen qualvollen Tod erlitten hat. Ich trauere auch nicht nur um die Eritreerinnen, sondern um jedes Opfer, dessen Körper auf dem Grund des Mittelmeers liegt und bei dem keiner der Familienangehörigen die Gelegenheit hatte, sich von seinen Lieben zu verabschieden. Ich nehme jeden Morgen, Mittag und Abend Abschied von ihnen und dennoch träume ich, dass die jungen Menschen eines Tages doch nach Hause zurück kommen werden. Das bedeutet für uns als Familie Hoffnung ohne Ende und das tut am meisten weh. Diese Tat hat mit der Angst und Unsicherheit vieler Europäer vor andersaussehenden Mitmenschen zu tun.
Die Europäer, die als Prediger für Demokratie und Menschenrechte auftreten, sind nicht einmal in der Lage, Menschenleben zu retten. Sie fahren an Schlauchbooten, auf denen sich Kinder, schwangere Frauen und junge Männer befinden, die nach Hilfe schreien, vorbei. Wie kann es sein, dass unsere Kinder 23 lange Tage, von mehr als 10 Schiffen pro Tag gesehen und dennoch nicht gerettet wurden? Meines Erachtens ist das menschenverachtend. Ich glaube, es gibt heut zu Tage nicht mehr so viele Menschen mit Zivilcourage, Ehrgefühl und Moral in Europa. Allein wenn ich an die Fischer und Marines denke, welche an den nach Hilfe schreienden Menschen vorbei gefahren sind und nichts unternommen haben, weil sie Angst um ihre Existenz hatten, empfinde ich absolut kein Verständnis. Meiner Meinung nach hätten sie sich doch nur dem Schlauchboot nähern müssen und die Flüchtlinge nach Telefonnummern von Verwandten oder Freunden zu fragen brauchen. Malta oder Italien hätten einfach die Familienangehörigen informieren können. Ich als Afrikaner habe viele schlimme Dinge während des Kolonialismus erlebt. Dass die Italiener und Malteser aber so viele Menschen vor ihren Urlaubsorten sterben lassen, zeigt mir, dass es dort keine Menschenwürde mehr gibt. Die neue Dimension der Gleichgültigkeit den Menschen gegenüber ist noch gefährlicher als Hass. Wenn du jemanden hasst, so erkennst du immerhin seine Existenz an, in dem er dir ein Dorn im Auge ist. Ist Dir jemand vollkommen gleichgültig, so erkennst Du nicht einmal seine Existenz an. Und das ist gefährlich und zwar für alle Kontinente dieser Erde.
Daher soll uns, die wir an Menschenrechte und an Menschlichkeit glauben – egal ob wir Afrikaner, Amerikaner, Asiate, Australier oder Europäer sind – klar sein, dass jeder von uns sich verpflichtet fühlen muss, das ganze Ausmaß der Tragödien im Mittelmeer weltbekannt zu machen. Wer diese Tat heute nicht verurteilt, wird sich morgen nicht auf ein menschenwürdiges Europa freuen. Die Leute, die im Namen Europas den Tod so vieler Menschen in Kauf nehmen, verraten Europa.
Die positiven Erfahrungen mit manchen Europäern und Europäerinnen will ich aber nicht außer Acht lassen. Z.B. den italienischen Anwalt Leonardo Marino, seine Assistentin, Germana und die deutschen Organisationen (wie borderline-europe-Menchenrechte ohne Grenzen ganz besonders Frau Judith Gleitze), die uns immer noch durch die harten und schmerzhaften Zeiten begleiten.