David H.

 

Eine zusammengefasste Lebensgeschichte des Dawit Habtemariam, die er uns bei der Gedenkveranstaltung erzählt hat und wofür wir ihn dankbar sind.

Ich habe lange überlegt, ob ich überhaupt hier stehen sollte. Jedoch bin ich zu dem Entschluss gekommen dies zu tun, weil diese Geschichte nicht nur meine alleinige Geschichte, sondern die Geschichte eines jeden Eritreers und einer jeden Eritreerin ist. Wir alle haben fast die gleiche Geschichte und das gleiche Schicksal erleben müssen und jeder behält sie für sich und das erdrückt uns.

Dabei sollte jeder von uns stolz darauf sein, wie aufopferungsbereit jeder für seinen nächsten gewesen ist.   Trotz allem müssen wir uns immer wieder fragen: Warum sind wir heute überall zerstreut? Warum flüchten wir alle, obwohl uns bewusst ist, dass wir bei dem Versuch zu flüchten an der Grenze Eritreas erschossen werden, in die Fänge von Menschenhändlern geraten oder sogar im Mittelmeer ertrinken könnten.

Viele Asyl- bzw. schutzsuchende Menschen werden seit Jahren vermisst. Was gibt es schlimmeres, als eine Mutter die ahnungslos auf die Rückkehr ihres geliebten Kindes wartet, welches bereits vom Higdef Regime im Gefängnis durch Misshandlung gestorben ist, nur weil es seine/ihre Meinung frei äußerte. Oder bei der Flucht Eritrea zu verlassen erschossen wurde, oder sogar in der Sahara und im Mittelmeer verschollen ist, nur weil er diesen schrecklichen, nervenaufreibenden, psychologischen Kalten Krieg der Regierung gegen die eigene Bevölkerung nicht ertragen konnte. Viele Eltern wissen nicht Mal, dass ihre Kinder bereits Tod sind. Und das ist sehr schlimm.

Bei dieser Gedenkveranstaltung für unsere toten und vermissten Familienmitglieder, unsere Freunde, unsere Kameraden, unsere Kinder und Geschwister, die versuchten ihr Leben zu retten und nicht das Glück hatten in Frieden zu leben und u.a. in Europas Außengrenzen den Tod fanden,   sehe ich die Möglichkeit zu erzählen, warum wir überhaupt unsere geliebte Familie und die Heimat, für die wir ehrenhaft für Demokratie und für Menschenrechte gekämpft und fast unsere ganze Jugend aufgeopfert haben, verlassen mussten.

Nun erzähle ich, wer ich überhaupt bin und warum ich Schutzsuchend nach Europa geflüchtet bin

Mein Name ist Dawit Habtemariam und ich bin am 08. Dezember 1972 in Segenaiti geboren. Meine Grundschulzeit verbrachte ich jedoch in Segenaiti und Gendae, wo meine Familie ihre Lebensgrundlage besaß.

Wie jedem von uns bekannt ist, war der Eritrea/Äthiopien Krieg für jeden von uns ein Albtraum. Davon waren wir bereits als Kinder betroffen, weil mein Vater bereits als Befreiungskämpfer ins Feld zog. Ebenso wurden meine älteren Geschwister nach und nach zu Befreiungskämpfern. Ich folgte meinen Vorbildern und zog im Jahre 1988 in den Befreiungskampf und wurde mit   meinen 16 Jahren Soldat der damaligen EPLF.

Kurze Zeit später wurde ich in der Einheit unter Mohamud Sherifo in der Volksverwaltung im Bereich der TELE-Centrale eingesetzt und war bis September 1989 dort.

Im Oktober 1989 wurde ich in Brigade 90 eingesetzt. Brigade 90 wurde als provisorische Einheit unter Kommandant Bitweded Abraha eingeführt. Herr Bitweded Abraha wurde direkt nach der Befreiung Eritreas inhaftiert und keiner weiß bis heute wo er ist.

Von Brigade 90 wurde ich in die Battailon 52 verlegt, unter der Führung von Herrn Mager General Said Feredj. Mager General Said gehört zu den Helden, welche im Krieg für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte Eritreas gefallen sind.

Alle Schlachten vor der Unabhängigkeitserklärung und nach der Unabhängigkeit Eritreas, bei denen ich beteiligt war und die ich überlebt habe sind:

Der harte Krieg von Ginbar Keren, die Schlacht von Djegieru, von Enselib, den Krieg von Rora Mensae, den Gesamten Kampf von Genbar Ghindae, die Schlacht in Gahiat, den Krieg im Bonespiro, die Schlacht im Chefeta, die Schlacht im Hamelmalo und die Schlacht im Reassie Ady.

Angefangen von der rechten Seite von Forto-Segeneyti bis zur Schlacht der Adi-Umer, den Krieg in Degra und die Schlacht in Afolba, die Schlacht in TABA Hirret.

Bis hin zu der Schlacht am Tage der Befreiung am 19.Mai 1991 um 10 Uhr und nach kurzer Pause bis zum 24. 05. 1991 als Asmara von feindlichen Soldaten komplett befreit wurde, war ich dabei. Trotz all der Grausamkeit, welche der Krieg in sich verbirgt, sah ich mich verantwortlich für die Unterdrückten zu kämpfen, Eritrea zu befreien und als guter Soldat allen Befehlen zu gehorchen und durch zu führen . Ich hatte überwiegend die Verantwortung des Radio Operators und war für technische Fragen verantwortlich.

Alle Soldaten freuten sich, dass nun endlich Frieden herrschen würde. Wir haben viel Blut vergossen, auch Blut von Unschuldigen. Damit sollte nun endlich Schluss sein.

Aber es kam anders: Was mich dabei störte war, dass man als Soldat kein Recht hatte sich in die Politik des Landes einzumischen, sondern einem nur das Recht zustand, das Land zu verteidigen.

Ich dachte mir auch gute Soldaten hätten das Recht zu fragen, wenn sie etwas nicht korrekt fanden und war optimistisch, eine schnelle und ehrliche Antwort zu bekommen. Das war im Jahre 1995, als der Begriff „Higdef“ gegründet wurde. Ich wurde aufgefordert keine Fragen zu stellen.

Als ich mich weigerte stillschweigend alles hinzunehmen, wurde ich von zwei Soldaten mit einem Toyota abgeholt, ins Gefängnis gesteckt und wurde täglich von mehreren „Prüfer“ bzw. vom Ausbilder „ für gute politische Erziehung“   interviewt. Ich wurde „eingeschult“ und ich musste sagen, dass ich alles verstanden habe und ich nun ein guter Soldat sein werde, alle Befehle auführen würde das bedeutete auch gegen das eigene Volk.

Auch wenn es nur ein Überlebenskampf war, zu sagen, dass ich dazu gehöre und als braver Soldat den grausamen Befehlen mancher Führer gehorchen werde, konnte ich das alles nicht mit meinem Gewissen vereinbaren. Der Innere Krieg in mir fing an, als mir bewusst wurde, dass ich nur eine Marionette der HIGDEF war und in Wahrheit kein guter Soldat bin, der für die Rechte und die Freiheit Eritreas kämpft.

Einer der Prüfer, welche mich angehört haben,   heißt Wedi Mukur und leitet seit Jahren das Gefängnis von Adi Abeyto. Der Zweite Prüfer heißt Wedi Gile und leitet bis heute das Gefängnis AaLA. Das ist nur ein Beispiel, um zu zeigen welche Leute und "geschult" haben.

Nachdem ich unendliche Monate angehört wurde (wohl gemerkt u. a. ohne ein Schluck Wasser), brachte man mich zu der größten Einheit, die sich zum Krieg gegen den Jihad vorbereitete. Es wurde uns erzählt, dass dies ein Trainingscamp gegen den Jihad war.

Der Krieg brach im Januar 1997 aus. Man schickte uns in den Sudan hinein und wir als "gute" Soldaten durften nicht fragen, warum wir in einem Nachbarland Krieg führen müssen.

Wir mussten vier sudanesische Militärstationen angreifen. Keine eritreischer Soldat war damit einverstanden ein Nachbarland zu attackieren. Wir mussten es tun, weil uns das befohlen wurde.

1998 als wir wieder zum Kampf gegen den Feind „Weyane“ aufgefordert wurden in dem Krieg zu ziehen, gab man mir die Verantwortung für die Kommunikation schwer motorisierte Kolonie zu Fuß zu begleiten. Auch diese schwere Zeit brachte ich hinter mir.

Danach wurde ich krank und ständig müde und fragte einen verantwortlichen, der menschlicher war als manche anderer. Er sorgte dafür, dass ich für ein paar Wochen Urlaub bekam. Doch einige Tage später kamen Soldaten mit einem Brief und holten mich am 15.05.1998 ab.

1.WErar Weyane (Grenzkrieg gegen Äthiopien)

Dort angekommen wurde ich sofort aufgefordert von Barentu Richtung Tokombia zu der Grenze nach Äthiopien als Radio-Operator zu fungieren. Ich fürchtete wie vorher mehrere hunderte Tote bzw. Hohe Verluste. Ohne Wiederstand besetzten wir Sheshebit bis hin Adi-Humor, Militzai usw.

Am 20.05.1998 brachten wir die Dörfer WAELa-Hizbi, Shiraro, Nifsela unter Kontrolle. Bis dahin gab kein Gegenangriff von äthiopischer Seite.

Erst gegen 16 Uhr griffen die Äthiopier mit schwer Artillerie die Orte, wo wir uns befanden, an. Wir zogen zurück. Wir durften keinen Urlaub beantragen. Wir mussten bereit für den nächsten Krieg sein.

2.Werar WEYANE (Krieg gegen Äthiopien) begann am 23.02.1999 gegen 5Uhr morgens in Bademe, Selemu, Gemhalo und Goal Gebhalo usw.

Vom 23.02. bis 26.02.199 ging der Krieg in Gemahalo, in Senbel deki Zeru in Geza Tegaru. Da es ein sehr harter Kampf wurde, mussten wir uns zurückziehen.

Wieder ging die Schlacht von Kebabi Girme, Teba Semain, Teba 5, Adi Hakin,Tzelim Risu, weiter.

3 WErar_ Weyane (Grenzkrieg gegen Äthiopien)

Am 13Mai im Jahre 2000 d.h. ohne Pause kämpften wir den ganzen Tag und marschierten wieder Richtung Binbina, um weiter zu kämpfen.

Am 14.05. ging der verbitterter Krieg in Binbina, Kerkesha, bis hin zu Asheshi einschließlich 17.Mai weiter.

Am 17/ 18.Mai wurde uns mitgeteilt, dass der äthiopische Feind ins Hochland zog und wir dringend dahin einmarschieren müssen. Mit leerem Magen machten uns zu Fuß auf den Weg. Bis zu der Stadt Agordat marschierten wir zu Fuß. Erst am 20.Mai fanden wir LKWs die uns nach Asmara brachten. Die Mütter gaben uns zu Essen und zu Trinken, aber wir hatten keine Zeit dafür. Vorbei an Asmara kamen wir am 21.Mai gegen 1uhr nach Mitternacht in Adi Quala an. Während der ganzen Reise fand man kaum einen iungen Mann oder eine junge Frau, mit deren Hilfe man rechnen konnte. Alle waren zum Krieg aufgerufen. Die Mütter gaben uns alles, was sie an Essbarem hatten. Sie gaben uns dies nicht ab, weil sie mehr davon haben, sondern weil sie dankbar waren, dass wir Frieden und Freiheit für Eritrea bringen würden vor allem aber weil ihre Kinder, Ehemänner, Ehefrauen, die Enkelkinder und die Studenten direkt aus der Universität kaum ausgebildet an der Schlacht beteiligt waren.

Am 22.05. nach Mitternacht griff der äthiopische Feind das ENda Gergish an. Gegen 3Uhr Morgens erreichte das schlimmste Feuer uns. Vom 22.- 26.Mai lief eine harte und grausame Schlacht. Der Feind griff mit Panzern und schwerer Artillerie an und bombardierte die gesamte Gegend, wo wir uns befanden. Trotzdem war die eritreische Seite erfolgreicher, so dass der Feind sich zurück zog.

Am 27.05.gingen wir nach Tzerona und weiter nach Senhafee. Der Krieg in Tzerona und Senhafee war fast vorbei. Wir mussten nicht viel dazu beitragen. Somit war dann die dritte Werar Weyane vorbei. Hier muss erwähnt werden, dass die eritreische Seite mehr Soldaten verloren hat als bei dem 30Jährigen Krieg davor (prozentual gesehen).

Nach dem wir so einen erbitterten und langen Krieg hinter uns brachten, 2001 fing die Unruhe der Ministerien an.

Kurz davor aber versammelten sich alle Vorgesetzten in der Halle des Bahta Hagos in Adi keyieh durch Meger General Wuchu. Das war eine Art Seminar. „Er rief alle Vorgesetzen der Kommunikation an und forderte, dass eine Teilnahme an politischen Diskussionen den Soldaten untersagt wird. Jeder Soldat soll in seinen Bunker gehen und sein Land verteidigen bzw. die Grenze überwachen“. Viele von uns wurden misstrauisch, wofür und warum wir eigentlich Soldaten sind, wenn wir nicht mal unsere Meinung äußern dürfen.

Am 17.September 2001 wurde Mohamud Shrifo als erster Minster inhaftiert. Nach und nach wurden einige Minister inhaftiert, die den neuen Krieg verurteilten und Demokratie verlangten. Am 18. September 2001 wurden die restlichen Minister inhaftiert.

Die privaten Medien wurden verboten. Sogar die kath. Zeitschrift, die „Wahrheit und Leben“ hieß und nicht mal in Zeiten des Regimes von Mengstu Hailemariam verboten war, wurde verboten.

Alle Soldaten, die sich gut verstanden, wurden überall in verschiedene Richtungen verteilt, so dass wir keine Kommunikationsmöglichkeiten hatten. Durch Zufall fand ich einen sehr kompetenten Vorgesetzten, worüber ich mich freute, weil wir offen über die Situation geredet hatten. Er wurde aber nach einigen Monaten nach Mitternacht in einem geschlossenen Auto verschleppt. Ich versuchte etwas herauszufinden und erfuhr später, dass er inhaftiert war und niemand weiß, wo er sich befindet. Es wurden überall Informationen gestreut, dass er mit Äthiopien zusammengearbeitet haben soll, was nicht stimmte und was keiner glaubt.   Plötzlich wurde ich zum Vorgesetzten der Truppe ernannt, was mir nicht geheuer war und ich musste ca. 6 Monate den Befehlshaber der Bataillon spielen. Allein der Gedanke, einen so leidenschaftlichen, fairen Soldaten und guten Kameraden ersetzen zu müssen, der von der eigenen Regierung unschuldig verschleppt wurde, ließ mir keine Ruhe.

Außerdem war es sehr schwierig in einer bevölkerungsreichen Gegend zu bleiben, wo u. a. alle heranwachsenden Jugendlichen zum Zwangsmilitär eingezogen waren und es dort kaum noch etwas zum Essen gab. Für mich war das die schlimmste Zeit meines Lebens, Mütter zu sehen, deren Kinder und Ehemänner im Krieg gefallen waren und die jeden Soldat fragten, ob man irgend eine Nachricht für sie hätte oder ob man ihnen einen Ratschlag geben könne, wo man nach dem geliebten Menschen suchen sollte. Diese Tränen der Kinder und deren Mütter begleiten mich immer noch.

Am 18.08.2002 hat uns ein Oberbefehlshaber zu einem Seminar aufgerufen. Ich nutzte die Gelegenheit und stellte einige Fragen, die mir zum Verhängnis wurden. Ich wurde als Rebell und als Unruhestifter abgestempelt. Der Herr sagte zu mir wortwörtlich, dass HIGDEF nur stark geworden sei, in dem sie jeden, der sich ihr in den Weg stellte, gefressen hatte und das soll ich mir hinter meine Ohren scheiben. Nun war ich dortder größte Feind für alle. Ich wurde beschimpft und als Verräter derer, die für die Freiheit Eritreas gefallen sind, angespuckt. Es wurde alles gegen mich mobilisiert. Ich sah so viele, die sich das Leben nahmen und ich dachte, dass ich wohl irgendwann gefressen werde oder dazu gebracht werde mir das Leben zu nehmen. Der psychische Druck war sehr hoch. Dazu kam die Beobachtung, dass ich nicht ein Mal alleine einen Meter laufen konnte.

Irgendwann bin ich zusammen gebrochen und konnte mich kaum noch bewegen. Und irgendwann kam mein erster Vorgesetzter , der mich als Soldat ausgebildet hatte vorbei, der für mich mit Erfolg einen Urlaubsschein beantragt hatte (das ist nämlich nicht selbstverständlich) .

Nach ein paar Tagen Aufenthalt bei Verwandten entschloss ich mich, dem Land, wofür ich mein halbes Leben gekämpft hatte, den Rücken zu kehren. Ebenso musste ich meine geliebten Eltern und mein 6-Monate altes Baby mit meiner geliebten Ehefrau im Stich lassen.

So hat eine schreckliche Odyssee ihren Lauf genommen. Nach Ankunft in Kassela Sudan habe ich nicht im Flüchtlingslager um Asyl gebeten, da mir bekannt war, dass die eritreischen Geheimdienst die gesuchten Soldaten bzw. Personen direkt von dort gekidnappt hatte. Der einzige und sichere Ort schien mir die katholische Kirche in Merebeat zu sein. Ich erzählte dem Priester meine Probleme. Er hat mir sehr geholfen, weil ihm alle Probleme in Eritrea bekannt waren.

Ich versuchte mehrere Oppositionelle zu kontaktieren, mit denen ich ein Neubeginn für Menschenrechte und Demokratie wagen könnte. Ich hoffte, dass wir nicht alles hinschmeißen, wofür wir mehr als 30 Jahre lange so viel Blut vergossen hatten. Und noch schlimmer war, dass wir einen Krieg führten, der sinnlos war und ist. Aber ich fand kein Anschluss. So gelang es mir mit Hilfe von guten Freunden und Verwandten die weitere Flucht nach Khartum und weiter nach Libyen.

Mir wurde klarer, dass der Krieg Bademe erfunden war, damit Higdef an der Macht bleiben kann und die Verluste von beiden Seiten unsinnig waren.

Der Horror über die Sahara, in Libyen und im Mittelmeer: Eine Reise, die keiner sich vorstellen kann. Durch die Sahara mit vielen Toten unterwegs. Lebende, die vom fahrendenden Auto herunterfielen und keiner der sie rettet. Wenn einer versucht die Runtergefallenen zu retten, wird auch er dort liegen gelassen. Junge Frauen, die während der Anwesenheit der Eltern, des verlobten und sogar vor den Augen der eigenen Kinder vergewaltigt wurden. Die Lybische Soldaten hielten uns ihre Gewehre am Nacken und waren zu schießen bereit, wenn einer etwas gegen die Vergewaltigung sagte. Wir mussten stillschweigend alles hinnehmen, damit zumindest die kleine Kinder eine Überlebenschance bekamen. Denn wir wussten, dass einige Eriteer getötet worden waren, weil sie sich gegen die Vergewaltigung wehrten. Viele kleine Kinder mussten auch deshalb sterben. Es ist eine schmerzhaft und zugleich eine beschämende Geschichte für uns als ehmalige Soldaten nichts dagegen unternommen zu haben. Wir mussen diese Grausamkeit, was vor unseren Augen passiert ist unser Lebenlang in uns tragen.

Eine grausame Reise, deren Ausgang nicht in Aussicht stand. Ich hatte Glück und konnte Tripolis erreichen. In Tripolis war das Leben schlimmer als das, was ich in Eritrea hatte und in der Sahara hinter mir brachte. Denn in Eritrea hatte ich die Hoffnung eines Tages in Frieden leben zu können. In Libyen wurde man von Kindern auf der Straße geschlagen, von erwachsenen beraubt, manchmal sogar das Hemd, das man am Körper trug weggenommen. Keiner der Flüchtlinge hat ein Recht irgendetwas zu sagen. Ob Soldaten oder Zivilisten, wenn sie etwas von einem Flüchtling haben wollen, fragen sie nicht, sondern nehmen sie sich das einfach. Die guten nehmen die Sachen und gehen weg. Es gibt aber die schlimmste Sorte, die auf der Jagd nach Flüchtlingen sind. (Flüchtlinge schlagen, vergewaltigen und sogar einfach töten).

Nach einem unendlich scheinenden, dreimonatigen Aufenthalt in Libyen kam ich im Juni 2003 in Lampedusa in Italien an. In Italien gab man mir einen humanitäreren Status und setzte mich auf der Straße. Ich gab nicht auf. Mal ging ich im Feld arbeiten, sehr oft bekam man sein Gehalt nicht, weil die Arbeitgeber wissen, dass man kein Recht bekommen kann. Sehr oft arbeitete ich für mein tägliches Brot. Es gab Tage, wo ich nichts zu essen hatte oder mehrere Wochen nicht duschen konnte. 2006 fand ich bei einer Firma in einer Lagerhalle einen guten Job und arbeitete dort, bis die Firma aus wirtschaftlichen Gründen schließen musste.

Wieder landete ich auf der Straße und suchte wie jeder andere Flüchtling in Italien eine Bleibe dort, wo keiner wohnte. Die meisten von uns lebten bzw. leben in den herunter gekommenen Häusern. Es gibt monatelang kein warm Wasser und tagelang kein Essen. Wenn einer 1 oder zwei Euro findet geht man damit nicht Kaffee trinken, sondern versucht mit diesen 2euro sich zu duschen bzw. die Zähne anständig zu putzen.

Verzweifelt versuchte ich in der Schweiz ein politisches Asyl zu bekommen. Doch wegen sogenanntem Dublin II sollte ich nach Italien abgeschoben werden. Deshalb kam ich nach Deutschland in der Hoffnung, menschenwürdig leben zu können.

10 Jahre habe ich versucht in Italien Fuß zu fassen. 10 Jahre habe ich mich damit getröstet, dass ich noch schlimmeres hinter mir hatte und ich das auch schaffen würde. Doch es war kein menschenwürdiges Leben in Italien. Es gab sehr oft die Momente, wo ich mir wünschte, ich wäre doch als Held im Krieg gestorben, in der Sahara stecken geblieben oder im Mittelmeer ertrunken.

Das bedeutet; ich bin vor 11 Jahren nach Europa gekommen, damit ich in Frieden leben könnte. Aber glauben Sie mir, in den letzten 11 Jahren, wo ich hier war, gab es keine einzige Nacht, wo ich gut geschlafen habe. Und ich weiß, dass es fast allen, die über das Mittelmeer nach Europa gekommen sind, genauso sehr schlecht geht wie mir.

Diese Gedenkveranstaltung ist nicht nur für Eritreerinnen gedacht, sondern für alle Schutzsuchenden Menschen, denen nicht gegönnt war und immer noch nicht gegönnt ist, hier in Europa und anderswo Schutz zu finden. Wir haben zwar geschafft Europas Außengrenzen durch zu brechen und nach Europa zu gelangen, man gönnt uns aber immer noch nicht ein menschenwürdiges Leben hier zu haben. Wir leben in Angst, irgendwann irgendwo abgeschoben werden würden.

Deshalb bin ich heute her gekommen:

Als erstes unseren Verstorbenen und Vermissten zu gedenken und zweitens die schlimme Flüchtlingssituation der in Europa Lebenden auszusprechen.

Ich frage mich sehr oft, wie kann man uns so behandeln. Warum kann man uns nicht helfen, damit wir ein menschenwürdiges Leben führen können? Ich habe meine Lebensgeschichte ins kurze zusammengefasst erzählt, warum ich geflüchtet bin. Und nun frage ich die europäische Regierungen besonders hier die Deutsche, weil ich nun hier bin:

Habe ich kein Recht hier ein menschenwürdiges Leben zu führen? Warum muss ich wie ein herrenloser Koffer hin und her geschickt werden? Genügt es nicht, was ich mein Leben lang durchmachen musste?

Denn ich bin kein Wirtschaftsflüchtling, wie manche europäischer Regierungen es behaupten, sondern ich war 14 Jahre lang ein tapferer Soldat, der alles gegeben hat, damit in meinem Heimatland Frieden, Freiheit und Demokratie herrscht. Wenn alles umsonst war, wofür ich gekämpft habe, bin doch gezwungen meine geliebte Heimat zu verlassen!

Ich danke Pro Asyl, Gergishu Yohannes und deren Unterstützer dafür , dass sie sich für die Rechte der Flüchtlinge stark machen und uns Mut machen über unser Trauma offen zu sprechen. Nur so können wir die Schmerzen und Trauma, was in uns steckt einigermaßen verarbeiten.

Dankeschön

Übersetzt von Asmait Weldejesus, Siegburg

 

 

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